Farid ist Asylwerber, kommt aus Afghanistan und wohnt in Oberschützen. Er ist noch nicht lange in Österreich, spricht kaum Deutsch, nur gebrochen Englisch, und hat Schwierigkeiten mit unserer Schrift. Und er ist ein Dublinfall. Er soll zurück nach Kroatien, woher er nach Österreich eingereist ist.
Am 30.05.2016 am Morgen bekam er von der Polizei die Vorladung zur Einvernahme zum Antrag auf internationalen Schutz zugestellt. Termin: 31.05.2016, 8:00 Uhr früh in Traiskirchen. Kein Transport. Also öffentliche Verkehrsmittel, das ist in Oberschützen aber ein Problem. Sie wissen nicht, wie sie von Oberschützen mit dem Bus nach Traiskirchen kommen? Pinkafeld, Wien und dann mit der Badener Bahn nach Traiskirchen. Einfach, oder? Geht sich alles bis 8 Uhr aus. Aber nur, wenn man weiß, wann man wegfahren und wo man umsteigen muss. Kein Problem, in Zeiten von Internet - sagt der Leiter des Zentrums, Herr W.
Der Besitzer der Unterkunft der Asylwerber wohnt in Graz und kann am 31. nicht Chauffeur spielen. Ich, seine Vertrauensperson, habe Termine – kann auch nicht. Also telefoniere ich. Der zuständige Referent ist nicht erreichbar, seine Mitarbeiterin kann den Termin nicht verschieben. „Rufen Sie ihn morgen um halb acht an, da ist er sicher da.“
Mach ich. Aber er ist noch nicht da. Schnell in die Dusche. Nach einer Viertelstunde klappt es – endlich. Der Referent ist ungehalten, der Ton ruppig. Er ist die Behörde, der Termin kann nicht verschoben werden, obwohl das theoretisch laut Vorladung möglich ist. „Wenn er nicht spätestens um 9.30 in Traiskirchen eintrifft, ist sein Fall negativ abgeschlossen.“ Ok, ich bin ja flexibel – mein Bankberater und mein Zahnarzt hoffentlich auch. Und hoffentlich habe ich noch Schmerztabletten in der Lade.
Farid anrufen, rein in die Klamotten von gestern – für mehr bleibt keine Zeit, es ist schon fast 8:00 Uhr und nach Traiskirchen sind es mehr als 100 Kilometer. Gott und Allah sei Dank ist der Tank voll. Auto raus aus der Garage, ins Quartier, Farid antreiben, los geht’s. Im Auto Termine absagen. Neue Termine erst am Nachmittag, jetzt muss ich fahren und der Terminkalender liegt auf dem Schreibtisch. Eine halbe Stunde Stille – ich muss versuchen, meinen Puls zu normalisieren.
9:10 Uhr – behördliche Erfassung in der Erstaufnahmestation Traiskirchen (EAST) warten bis 9:45 Uhr, “umfassende“ Rechtsberatung in 10 Minuten, in denen dauernd die Tür aufgeht, jemand hereinkommt und wieder verschwindet. „Sie dürfen nichts reden“ – gut, kein Problem, ich verstehe kein Farsi oder Dari. „Ja, aber auch nachher bei der Einvernahme nicht.“ Weiß ich schon, es ist ja nicht meine erste Einvernahme.
Mit dem Rechtsberater gehen wir dann wieder zurück in das Haus 17. „Wer sind Sie“? Ich muss meinen Pass herzeigen, ich werde wieder aufgeklärt, warum eine Terminverschiebung nicht möglich ist. Enges Terminkorsett – aha. „Ja, das mit der Aussage der Mitarbeiterin war etwas unglücklich, aber wir haben es eh geschafft!“ Wir? Nein, ICH!!! Mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten – ich alleine!
Einvernahme laut Protokoll auf Dari – aber der Dolmetscher sprach mit Farid Farsi, verstand das Wort „Fotograf“ nicht. Macht nichts, Dari und Farsi sind wie Deutsch in Deutschland und Österreich. Sagt Farid, der nicht Deutsch spricht und noch nie in Deutschland war. Und dessen Muttersprache weder Farsi noch Dari, sondern Paschtu ist. Aber er hat alles verstanden, sagt er. Der Dolmetscher hoffentlich auch.
Fertig, Protokoll unterschreiben – es wird zwar nicht alles übersetzt, Farid unterschreibt trotzdem, ich darf nicht sprechen, der anwesende Rechtsberater schweigt. Wozu sitzt der eigentlich da? Damit er uns beim Hinausgehen aufklärt: „In zwei bis drei Wochen bekommt er seinen negativen Bescheid, dann kann er Beschwerde einlegen.“
So lange warte ich nicht – ich erledige das nach der Heimfahrt. Mails mit genauer Sachverhaltsdarstellung an die Landesregierung, an den Verein Menschenrechte Österreich in Eisenstadt, an die Diakonie. Deren Rechtsberaterin empfiehlt eine Beschwerde an den Leiter der EAST, Herrn W., und den Gang an die Öffentlichkeit, denn „die Behörde hört uns nicht einmal mehr zu, die Gerichte glauben uns nicht.“
Die Landesregierung stellt sich tot, die Rechtsberaterin vom VMÖ in Eisenstadt entschuldigt sich. Und Herr W. – er ruft mich an. Alles ordnungsgemäß abgelaufen, er sieht keinen Fehler. Wirklich nicht? Farid hätte die Einladung 14 Tage vor dem Termin erhalten. Aha, offensichtlich hat er mein Mail nicht richtig gelesen. Klar, kann man auch nicht erwarten bei so vielen Asylwerbern! Ich stelle richtig – das war am Vortag. „Ok, aber er hat damit rechnen müssen, dass er eine Vorladung bekommt.“ Na klar, doch seine Schuld. Außerdem hätte er ja auch am Vortag nach Traiskirchen kommen und dort schlafen können. Super, nur das hat mir niemand gesagt. Dazu die Rechtsberaterin der Diakonie: „Das klappt seit Sommer auch nicht immer." Vielleicht weiß Herr W. davon nichts?
„Wenn er den Bus um 6 Uhr genommen hätte, wäre er leicht um 8 Uhr dort gewesen.“ Das ist falsch. Erstens gibt es nur einen Bus um 5:45 Uhr, der ist laut Fahrplan um 7:20 in Wien (ich bin heute gefahren und mein Bus hatte 20 Minuten Verspätung. Zu Mittag, ohne Frühverkehr) und zweitens fährt man mit der Badener Bahn laut Auskunft von Herrn W. eine halbe Stunde zur EAST. Da bleiben bei pünktlicher Ankunft in Wien genau 10 Minuten, um die richtige Haltestelle zu finden. Unmöglich für jemanden, der von Oberschützen nach Eisenstadt gefahren und in Großpetersdorf gelandet ist. „Er hätte den Termin ja auch um eine Stunde überschreiten können.“ Gut zu wissen, aber informiert hat mich die Dame am Telefon wieder nicht. „Ja wenn Sie mit einem Lehrling sprechen!“ Dass ich das nicht gleich gemerkt habe – meine Schuld. Gesagt hat sie nämlich nicht, dass ihre Aussagen vielleicht nicht so hilfreich sind, weil sie – noch – keine Ahnung hat.
Ich werde immer gereizter, Herr W. hört mir seelenruhig zu – nur versteht er keines meiner Argumente. kann sich nicht vorstellen, dass man Probleme haben kann, den Weg nach Traiskirchen zu finden. Es gibt ja Internet. Und man kann den Termin verschieben. Aber nur, wenn man einen triftigen Grund hat. Und fehlende Verkehrsverbindungen, mangelhafte Sprachkenntnisse sind KEIN triftiger Grund. Nur Krankheit. Super, das merke ich mir gleich fürs nächste Mal. Sicher hilfreich.
„Bis jetzt haben noch immer alle hierher gefunden“ – ja, das ist endlich ein Argument. Haben Sie schon einmal von freiwilligen HelferInnen gehört? Von denen, die Zeit und Geld opfern, um die Versäumnisse der Politik, der Behörden und manch anderer Institutionen aufzufangen? Um den armen Menschen, die vor Krieg und Schrecken geflohen sind, ein bisschen Licht in ihren tristen Alltag zu bringen? Gehen Sie ins Haus 17, dort treffen Sie viele.
Herr W., dessen Familienname irreführenderweise auf wohlgesonnenen Umgang schließen lässt, ist sicher kein Freiwilliger. Er hat ja sicher auch beruflich schon genug Ärger mit Asylwerbern – das hört man seiner Stimme an. Und er hat sicher noch nie in seinem Leben eine andere Schrift lernen müssen. Sonst würde er einiges besser verstehen. (Ich habe ein Jahr Russisch studiert, kann Serbische Ortsnamen lesen und lerne im Moment – ganz langsam! – Arabisch. Ich weiß, wovon ich spreche.)
Aber jetzt heißt es warten. Warten auf den ersten negativen Bescheid, warten auf die nächste Fahrt nach Eisenstadt, warten auf die nächste Einvernahme – wahrscheinlich wieder um 8 Uhr, denn es geht sich ja alles aus –, warten auf den nächsten negativen Bescheid, warten auf alles, was noch kommt. Und Hoffen. Hoffen auf weniger Schikanen, hoffen auf weniger Überheblichkeit, hoffen auf mehr Verständnis, Kompetenz und Menschlichkeit. Vergebliches Warten? Vergebliches Hoffen? Hoffentlich nicht.
PS: Ein Einzelfall? Nein, diese Art der Behandlung, Schikane und Überheblichkeit hat System. Schließlich kommen ja viel zu viele. Sie sollen ruhig sehen, dass das Leben hier kein Honigschlecken ist Und es auch weitersagen, bitte. Herzlich willkommen – nein, wirklich nicht.
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