Friedensarbeit in Zeiten des Konfliktes
Sumaya Farhat Naser auf Vortragstour in der Schweiz
Seit vielen Jahren setzt sich die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser
für eine friedliche Lösung im Nahen Osten ein. Diese scheint in der
aktuellen Situation so weit entfernt wie nie zuvor. Trotzdem: Sumaya
Farhat-Naser kämpft weiterhin unermüdlich gegen Hoffnungslosigkeit und
Resignation. Eine Geschichte über eine gestohlene Quelle, gewaltfreien
Widerstand und eine Frauenkooperative.
Anfang September 2015: Sumaya Farhat-Naser sitzt gemeinsam mit den
Frauen der Kooperative von Deir Ibzee an der nahe gelegenen Quelle Ain
Bubin im Schatten eines Feigenbaumes. Es ist heiss in Palästina, viel zu
heiss für diese Jahreszeit, das Quecksilber im Thermometer übersteigt
regelmässig die 40-Grad-Marke. Der Feigenbaum sei Zeichen für Frieden,
Sicherheit und Lebensglück, sagt Sumaya Farhat-Naser. „Im Schatten des
Feigenbaums“ heisst denn auch ihr jüngstes Buch, das seit diesem Jahr im
Taschenbuchformat erhältlich ist. Darin beschreibt die Palästinenserin,
wie aggressiv israelische Siedlerinnen und Siedler die einheimische
Bevölkerung drangsalieren, wie sie Weinberge, Olivenhaine und Felder
zerstören, Ländereien und Wasserquellen rauben – alles unter dem Schutz
der israelischen Armee. Wie ein roter Faden ziehen sich die
Einschränkungen und Widrigkeiten des Alltags unter Militärbesatzung
durch Farhat-Nasers Aufzeichnungen.
Immer neue Einschränkungen
Hier in Deir Ibzee werden diese Widrigkeiten erlebbar: 56 Quellen haben
die jüdischen Siedler in den letzten drei Jahren beschlagnahmt“, erzählt
Sumaya Farhat-Naser. Deir Ibzee ist eine von ihnen. Freitags und
samstags kommen die Siedler mit ihren Familien, beschützt von Soldaten,
um an der Quelle zu feiern. Das Militär und Stacheldraht verwehren dann
der palästinensischen Bevölkerung den Zutritt. Und auch sonst wissen sie
nie, ob die Quelle frei ist – oder ob sie von Siedlern und Soldaten
beansprucht wird. Die Strasse hinunter zur Quelle ist steil und
ausgewaschen, repariert werden darf sie nicht. Als die Palästinenser mit
einem Bagger wenigstens die schlimmsten Stellen notdürftig reparieren
wollten, beschlagnahmte das Militär den Bagger für mehrere Wochen. „Für
die Menschen bedeutet das, dass sie nur noch zu Fuss ihre Olivenhaine
erreichen“, sagt Farhat-Naser, „Die Siedler wollen, dass wir aufhören,
unsere Oliven zu ernten, sie wollen uns weghaben.“ Die Menschen jedoch
harren aus. Auch wenn das Leben immer beschwerlicher wird, auch wenn sie
aus Angst vor den Siedlern und den Soldaten nicht mehr zur Quelle gehen
können.
Jetzt geniessen die Frauen den Schatten des Feigenbaumes am grossen
Bassin, in dem seit der Römerzeit das Wasser gefasst wird, sie plaudern,
lachen, waschen Gesichter, Arme und Füsse, essen Feigen und
Granatäpfel, die Kinder planschen und jauchzen. Später werden alle die
mitgebrachten Säcke mit Früchten und die Flaschen mit Wasser füllen,
glücklich über diese geschenkte Stunde an ihrer Quelle. Auch Jugendliche
aus dem Dorf sind gekommen, sie nutzen die Gelegenheit für ein
erfrischendes Bad. Eine friedliche Szene. Eine, die darüber
hinwegtäuscht, wie sehr diese Menschen unter der Besatzung und unter den
immer neuen Siedlungen – und den damit verbundenen Einschränkungen,
Verboten und Schikanen – leiden.
Wie diese Einschränkungen aussehen, davon kann Abu Bakir ein Lied
singen. Der Mann wohnt in einem Unterstand nahe der Quelle. Sein Haus
haben die Siedler zerstört, das Zelt, das er von einer internationalen
Organisation erhalten hatte, verbrannt, seinen Olivenbaum abgeholzt.
Doch aus dem Strunk spriesst junges Grün, der Olivenbaum treibt wieder,
und auch Abu Bakir lässt sich nicht unterkriegen. Er lädt uns zu Tee und
Kaffee ein, bittet uns in sein improvisiertes Wohnzimmer. Die Kinder
pflücken Minze und Salbei, alles ist ruhig, die Sonne brennt vom Himmel.
Kooperative mit Modellcharakter
In Schulen und Frauengruppen lehrt Sumaya Farhat-Naser mit grossem
Engagement gewaltfreie Kommunikation und den Umgang mit Konflikten. Die
Frauenkooperative von Deir Ibzee wurde mit ihrer Unterstützung nach
dreijähriger Vorarbeit im Jahr 2007 gegründet. „In diesen drei Jahren
haben die Frauen in intensiven Diskussionen herausgefunden, was sie
gerne tun möchten – und was sie können“, sagt Farhat-Naser. Und sie
können einiges: Sie produzieren Kunsthandwerk, stellen Zatar (eine
Gewürzmischung), Honig und Seifen her, sie verkaufen an den nahe
gelegenen Schulen gesunde Pausenverpflegung, sie verkaufen Olivenöl,
vergeben zinslose Darlehen, funktionieren als Sparbank, lobbyieren für
Frauenrechte, engagieren sich im Rahmen von nationalen Kampagnen gegen
Gewalt an Frauen.
Ilham leitet die Kooperative, eine stolze Frau, die Autorität ausstrahlt
und von 2005 bis 2012 die Politik im Stadtrat mitgeprägt hat. Ihre
beiden Töchter gehören auch zur Gruppe, eine von ihnen ist
Grafikdesignerin und für den optischen Auftritt der Kooperative
zuständig. Im Parterre des Hauses von Ilham finden die Treffen statt, in
der grossen Küche daneben wird produziert. Sumaya Farhat-Naser wirkt
als Beraterin, hilft bei der Finanzierung von Projekten, organisiert
Weiterbildungen. Sie ist stolz auf diese Kooperative in Deir Ibzee: „Sie
hat Modellcharakter für ganz Palästina“, sagt sie. Denn: „Wir arbeiten
mit Ökonomiestudierenden zusammen, helfen uns gegenseitig, verbinden
Theorie und Praxis.“ Seit 2007 ist die Kooperative von 28 auf 80
Mitglieder angewachsen, „15 Frauen besitzen einen Führerschein, fünf
haben sich als Imkerinnen ausbilden lassen, alle haben diverse
Weiterbildungen besucht“. Die Liste der besuchten Kurse ist lang:
gewaltfreie Kommunikation, Buchhaltung, Projektmanagement, Marketing,
Empowerment, Präsentation, Rhetorik, politische Bildung, Frauenrechte,
Gesundheit, Ernährung, Hygiene.
Im Nachbardorf Ain Arik will Sumaya Farhat-Naser jetzt eine
Schwesterorganisation gründen. Die Frauen sollen sich gegenseitig
unterstützen, voneinander lernen, Knowhow austauschen. In den letzten
Jahren hat Farhat-Naser dort verfallene Häuser renoviert und Abfallkübel
installiert, um das Müllproblem wenigstens im Kleinen in den Griff zu
bekommen. Denn der Müll ist ein Problem in den palästinensischen
Gebieten: Die israelischen Besatzer verbieten den Bau von Mülldeponien,
die Abfallentsorgung funktioniert deshalb nicht, Strassen, Wege und
Vorplätze sind dreckig. Die neu montierten Abfalleimer sollen zeigen,
dass es sich lohnt, den Abfall nicht einfach wegzuwerfen, sondern zu
sammeln. Ein wenig Bewusstseinsbildung, ein wenig Widerstand.
Schon bald will Sumaya Farhat-Naser in Ain Arik ein Kulturzentrum
eröffnen, ein Museum mit einer alten Ölpresse. Dann werden auch die
Frauen von Deir Ibzee ihre Produkte anbieten, sie werden tanzen und von
ihrer Arbeit erzählen. „Sie sollen den Frauen von Ain Arik Mut machen,
sich ebenfalls zusammenzuschliessen und gemeinsam etwas zu bewirken“,
sagt Farhat-Naser. „Das ist nicht immer leicht, es gibt Diskussionen und
Rückschläge. Aber es lohnt sich.“
Renate Metzger-Breitenfellner
Sumaya Farhat-Naser auf Lenos.ch
Sumaya Farhat-Naser:
Im Schatten des Feigenbaums
Herausgegeben von Willi Herzig und Chudi Bürgi
www.lemos.ch
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen